Fallbeschreibung:
Zustand des Patienten: Leukämie in Behandlung
Patient kam mit reduziertem Allgemeinzustand und Schmerzen auf die klinische onkologische Station mit dem Ziel einer Beckenkammpunktion zur Klärung der bislang von ärztlicher Seite angenommener gut verlaufender Therapie der Leukämie. Nach eingehenden Voruntersuchungen (CT, Sonographie, MRT, Blutbild) wurde aber ein Rezidiv der Leukämie vermutet. In dem Falle stand keine weitere Medikation mehr zur Verfügung der Grunderkrankung.
Zu diesem Zeitpunkt wurde seitens der vorsorgebevollmächtigten Angehörigen ein Wiederspruch zur schmerzhaften Beckenkammpunktion, sowie aller weiteren invasiven Maßnahmen getätigt – und dies in der Patientenakte dokumentiert.
Auf Station wurde dem Patienten zweimal ein Blasenkatheter angeboten bzw. mitgeteilt, dass einer gelegt wird. Hiergegen widersprachen Patient und Angehörige, zumal die Nutzung der Urinflasche (sofern am Bett vorhanden und bereitgestellt!) möglich war; auch Urin war normal farbig.
In der darauffolgenden Nachtschicht wurde aber dennoch ein Blasenkatheter gelegt (in Akte dokumentiert: Patient wünschte dies angeblich), hierbei wurde der Patient verletzt, Komplikationen traten ein, Spülkatheter musste nachts gelegt werden, um Blutungen aus Genitalbereich zu behandeln. Katheter wurde auch im weiteren Verlauf vom Patienten nicht toleriert. Uns Angehörigen wurde nur die halbe Wahrheit gesagt, nämlich dass der Spülkatheter wg. blutiger Koagel notwendig war, nicht aber dass zuvor Versuche des Legens eines normalen DKs unternommen wurde und es dabei zu Komplikationen und Intoleranz kam (war aus Akte im Nachhinein ersichtlich).
Am Abend des nächsten Tages auf Station wurde Patient von einer Pflegerin gefragt, ob er zum Sterben bereit sei (uns Angehörigen wurde mitgeteilt, dass das urinale Bluten als auch die MRT Ergebnisse auf einen fortgeschrittenen Prozess der Leukämie hindeuteten). Patient willigte dem Sterbeprozess ein (der angeblich sogar über Nacht eintreten könne) und bekam kurz darauf einen Morphiumperfusor, auch aufgrund der Schmerzen angehängt. Es fand aber keine Aufklärung über den weiteren Verlauf statt – besonders: dass Essens und Getränkegabe ab dem Moment eingestellt werden und sich Pflegeteam und Ärzte zurück ziehen werden.
In den folgenden zwei Tagen lag Patient ohne Mundbefeuchtung, ohne Trinken/Nahrung im Bett (wir Angehörigen sollten auch hier nichts machen), und trotz bekannter Verstopfung und Blähbauch wurden auch hier keine pflegerischen Maßnahmen durchgeführt. Im Verlauf bildete sich schleimiges Sekret im Mundbereich, der beim Patient aufgrund Aspiration zu leidenden Hustenanfällen führte.
Die Bitte, den Patient im Mundbereich abzusaugen, wurde nach erfolgloser oraler Absaugung nasal (vermutlich sogar tracheal – Anm.: Widerspruch zu invasiver Maßnahmen bestand weiterhin) versucht; hierbei kam es zu einsetzender nasalen Blutung. In den folgenden Minuten entwickelte sich stärker werdende, brodelige Atemgeräusche, Blut wurde vom Patient gehustet. Wir Angehörige wurden mit Nierenschalen versorgt, um das Blut des Patienten zu sammeln, Pfleger kümmerten sich aber um andere Patienten auf Station, kamen nur bei Betätigung der Notfallklingel. Auf Bitten, ein Arzt möge vorbeikommen zur Sedierung, wurde initial nicht mit Priorität gefolgt.
Erst auf nachdrücklicher Aufforderung sofort ein Arzt herbeizuholen, wurde der Bereitschaftsarzt zu dem Notfall hinzugezogen (dieser hatte allerdings am Abend des Wochenendes das ganze Klinikgebäude zu versorgen). Erst nach ca. 2-3 Stunden langsamen Ertrinkens durch das Nasenbluten des Patienten wurde ein Sedativum per Perfusor angeschlossen, der allerdings nicht mehr richtig wirkte und Patient unter brodeligen Schreien, schweißgebadet bei heftigen Abwehrverhalten erstickend – im Beisein von Arzt, Pflegern und Angehörigen verstarb.
Grausame Bilder eines qualvollen Todes bleiben zurück.
Gut gelaufen:
Der Zimmernachbar des Patienten wurde nach der Einleitung der Sterbephase (Morphiumperfusor) in ein anderes Zimmer gebracht. Für die Angehörigen wurde ein Bett bereitgestellt und durften ohne Einhaltung der Besuchszeiten kontinuierlich beim Patienten bleiben – was auch durchgehend genutzt wurde.
Generell war der erlebte Umgang auf Station zu Angehörigen und Patient freundlich – abgesehen von den geschilderten Ereignissen.
Schlecht gelaufen:
1) Missachtung des Patientenwillen und Wiedersetzung gegen invasive Maßnahmen mitten in der Nacht bei der Verabreichung des DK. Man hätte durchaus am nächsten Morgen eine Aufklärung geben können, die vielleicht eine Zustimmung bewirken könnte. So bleibt der Vorwurf der Missachtung des Patientenwillen und Misshandlung von Schutzbefohlenen. Ebenso beim Absaugvorgang gingen die Maßnahmen zu weit, letzteres führte sogar vermeintlich zum verfrühten Tode. Unklar ist, ob die Pfleger einen ärztlichen Auftrag erhielten und qualifiziert für die Maßnahme waren.
2) Aufklärungen zu dem Maßnahmen, besonders der Sterbephase, fand nicht statt. Optionen eines „anderen“ Sterbens wurden nicht gegeben, obwohl Hospiz oder „Auslandsaufenthalt“ nicht ausgeschlossen waren.
3) Auf Station war man personell und situativ nicht auf Notfälle und letztendlich auf irgendeine Form der Sedierung vorbereitet – gemäß Leitlinien hätte hier aber anders und viel schneller als auch früher gehandelt werden müssen – um die Qualen zu lindern.
Verbesserungsvorschläge:
– mehr Personal, um sich dem Patienten in seiner wohl „intensivsten“ Phase des Sterbens annehmen zu können.
– mehr Einbindung des Patientenwillen
– Anwendung von Leitlinien zur Pflege und Sedierung
– Bevorratung von Seditiva auf den „kritischen Stationen“ und Schulungen von Personal, wann dieses einzusetzen ist.
– Schulung von Notfallmanagement im Fall von außerplanmäßigen Prozessen
– alle Maßnahmen zur Verbesserung der o.g. schlecht gelaufenen Punkte.
Weitere Infos:
Ich habe meinen Glauben an die humane und ethische palliative Medizin verloren und habe nun Angst vorm Sterben.
Als Patient ist man in so einer Phase abhängig von richtigen Maßnahmen aber vor allem schutz- und hilflos.
Kombiniert mit schwacher klinischen Personaldecke sind solche Fälle des qualvollen Todes jederzeit wieder möglich. Ich möchte in so einem Fall nicht in Deutschland sterben wollen.
Infos zum Fall:
Perspektive:
Angehörige oder Angehöriger einer Patientin oder eines Patienten
Alter:
70-79 Jahre
Art der EInrichtung:
Normalstation, Krankenhaus
Geschlecht:
männlich