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2024-542

Medical Gaslighting bei postviralem Syndrom/ ME/CFS / POTS

Fallbeschreibung:

Als ich mit 14 Jahren nach einem Infekt (Influenza A) nicht mehr gesund wurde und zudem anhaltende starke Kreislaufprobleme entwickelte, wandten wir uns an meinen damaligen Kinder- und Jugendarzt. Nachdem sich meine Beschwerden innerhalb weniger Tage immer weiter verschlimmerten, schickte er mich in die Notaufnahme einer Universitätsklinik. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich aufgrund der starken Kreislaufprobleme noch an die 10 Minuten am Stück sitzen und maximal 5 Minuten stehen. Den Rest verbrachte ich aufgrund der Intensität der Symptome im Liegen. Zudem folgten nach jeglicher noch so kleinen Belastung grippale Symptome. Nach einer längeren Wartezeit, welche ich aus genannten Gründen in halbliegender Position auf dem Boden der Kindernotaufnahme verbrachte, wurde ich untersucht. Nachdem die Ärztin sich über die Ursache meiner Beschwerden unsicher war, entschloss sie sich, mich für eine Nacht zur Überwachung auf Station aufzunehmen. In diesen zwei Tagen erfolgten mehrere Untersuchungen, wo ich mir immer wieder anhören durfte, dass „Kreislaufprobleme bei jungen schlanken Frauen in der Pubertät ganz normal“ seien. Als ich erwiderte, dass die Probleme jedoch neu aufgetreten sind und ich kaum mehr sitzen geschweige denn stehen kann, wurden meine Probleme auf die Psyche geschoben und gesagt, dass das dann ja nur Panikattacken seien könnten. Ich fragte mehrmals, wie das seien kann, da die Kreislaufbeschwerden ausschließlich im Sitzen und Stehen auftreten, aber nicht im Liegen und ich keinerlei Panik empfinde. Auf diese Aussage wurde jedoch nicht weiter eingegangen und meine Symptome vehement als psychosomatisch oder Panikattacken abgetan. Als ich aufgrund akuter Atemnot und weiteren Kreislaufbeschwerden es nicht schaffte bei einem Lungenfunktionstest genug Luft in das Gerät zu blasen, wurde ich verbal durch die Ärztin angegangen und durfte zu hören bekommen, dass „sogar WIRKLICH kranke Kinder, das besser schaffen“ würden als ich. Am Tag darauf wurde ich mit der Aussage, dass mein Bett für „ernsthaft kranke Patienten“ benötigt wird aus meinem Zimmer geworfen und verbrachte die Zeit, die ich auf den Arztbrief warten musste, liegend auf dem Boden des Spielzimmers, da mein Kreislauf derart instabil war, dass ich bei jeglichem Versuch für kurze Zeit zu sitzen in eine Präsynkope gelangte. Es folgten zahlreiche Arztbesuche, wo ich mir immer wieder von verschiedenen Ärzten anhören durfte, dass derartig schwere Symptome bei jungen Leuten gar nicht auftreten könnten, ich mir meine Beschwerden nur einbildete und alles psychosomatisch sei. Alle diese Aussagen wurden von verschiedenen Ärzten teilweise ohne jegliche Untersuchungen und nur nach kurzen Gesprächen getroffen. Wenige Wochen später verweigerte mein damaliger Kinder-und Jugendarzt weitere Untersuchungen, warf meinen Eltern vor mir beabsichtigt keine psychologische Hilfe zukommen zu lassen und forderte eine psychologische Stellungnahme, da er mich sonst in eine Psychiatrie einweisen wolle. Eine Psychologin führte daraufhin sowohl mit meinen Eltern, als auch mir Gespräche und bestätigte schließlich, dass meine Beschwerden weder von der Psyche kommen, noch durch meine Eltern verursacht werden. Sie schloss außerdem ein Müchhausen-by-proxy-Syndrom aus, welches ein Arzt meinen Eltern unterstellte, obwohl er meine Krankengeschichte kaum kannte. Das reichte meinem Kinder- und Jugendarzt jedoch nicht und er drängte meine Eltern dazu mich in einem Krankenhaus für zwei Wochen stationär aufzunehmen. Er versprach meinen Eltern, dass dort weitere Untersuchungen durchgeführt werden würden. Erst bei der Aufnahme, wurde uns durch den Stationsarzt gesagt, dass es sich um ein psychosomatisches Behandlungskonzept handelt, von dem wir davor nichts wussten. Man versuchte also meine Kreislaufprobleme und postviralen Symptome, mit Musiktherapie, Bewegungstherapie (die wie ich heute weiß bei postviralen Syndromen mit Belastungsintoleranz kontraindiziert ist) und des Weiteren zu behandeln. Bei diesem Aufenthalt gab es für mich weitere zahlreiche traumatische Erlebnisse, so wurde ich z.B. durch die Pflege angeschrien, als mir gesagt wurde, dass ich nach einem EEG meine Haare waschen solle und ich erwiderte, dass mir das alleine schwerfällt, da ich starke Kreislaufprobleme habe und Duschen den Kreislauf belastet. Als ich daraufhin klingelte da es mir extrem schlecht ging und ich unter anderem Atemnot hatte, kam niemand, sodass sich die Eltern anderer Patienten, um mich kümmerten. Am Ende der zwei Wochen ging es mir aufgrund der Bewegungstherapie schlechter als zuvor und ich wurde mit der Aussage, dass ich Depressionen hätte, entlassen. Ich fragte wie sie zu der Diagnose kommen, da ich in der ganzen Zeit weder Fragebögen zu meiner Psyche ausgefüllt habe noch Gespräche mit Psychologen im Bezug darauf geführt habe. Auf diese Frage erhielt ich keine Antwort. Als ich einige Monate später psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen wollte, da ich aufgrund der schlechten Erfahrungen mit Ärzten und Krankenhäusern Traumareaktionen zeigte, wurde ich auch bei der Psychotherapeutin nicht ernst genommen. Mir wurde nach einem kurzen ersten Gespräch gesagt, ich würde nur simulieren, um die Aufmerksamkeit und Fürsorge meines Umfelds zu erlangen. Als ich daraufhin sagte, dass ich mir bei ihr keine Therapie vorstellen kann, traf sie weitere diffamierende Äußerungen. Erst zwei Jahre später wurde bei mir mithilfe einer Kipptischuntersuchung die Diagnose POTS gestellt und meine Symptome konnten unter anderem durch Medikamente verbessert werden. Drei Jahre nach Einsetzen der Symptome, (wenige Monate vor meinem 18. Geburtstag) erhielt ich zudem in einem darauf spezialisierten Zentrum die Diagnose postvirales Syndrom, sowie in der Anfangszeit der Erkrankung die Diagnose ME/CFS.

Gut gelaufen:

Mittlerweile bin ich erwachsen und habe eine Psychotherapeutin, welche im engen Austausch mit meinen Ärzten steht. Sie hat sich eingelesen und verstanden, dass meine Erkrankungen nicht psychisch sind, sondern eine organische Ursache haben. Sie hilft mir aber meine traumatischen Erlebnisse mit Ärzten, Krankenpflegern und Psychotherapeuten zu verarbeiten und gleichzeitig mit meiner Erkrankung umzugehen. Eine große Hilfe waren auch die Ärzte welche auf meine Erkrankungen spezialisiert sind. Sie stellten die richtigen Fragen und nahmen mich von Anfang an ernst, was ich so davor nie erlebt habe. Außerdem erhielt ich dort nach mehreren Jahren Krankheit erstmals Behandlungsempfehlungen. Mein aktueller Hausarzt kannte die Erkrankungen davor auch nicht, hatte aber schon mal davon gehört. Daher erklärte er sich bereit, sich einzulesen, was eine große Hilfe für mich ist.

Schlecht gelaufen:

Medical Gaslighting ist bei Erkrankungen wie POTS, ME/CFS und postviralem Syndrom ein großes Problem. Aus einer Selbsthilfegruppe, weiß ich, dass der überwiegende Großteil der Betroffenen nicht ernst genommen wird, Symptome werden bagatellisiert oder verleumdet. Es ist zudem ein Problem, dass viele Ärzte diese Erkrankungen gar nicht kennen oder die Schwere der Symptome nicht anerkennen. Als ich zum Beispiel einmal aufgrund starken Kreislaufproblemen und daraus resultierendem mehrmaligen Übergeben dehydriert in der Notaufnahme landete, musste die dortige Ärztin meine Erkrankungen erst googeln, da sie davor davon noch nie gehört hat. Dabei sind das postvirale Syndrom, ME/CFS sowie das posturale orthostatische Tachycardiesyndrom (POTS) keine seltenen Erkrankungen.

Verbesserungsvorschläge:

Es ist essentiell, dass Ärzte besser über postvirale Syndrome, ME/CFS sowie POTS informiert sind. Viele kennen diese Erkankungen gar nicht oder mittlerweile lediglich Long-Covid, obwohl postvirale Syndrome nach den verschiedensten Infekten entstehen können. Es ist außerdem wichtig, dass Ärzte ihren Patienten genau zuhören und ernst nehmen. Kein Arzt kann alles wissen, aber bevor vorschnelle Fehldiagnosen gestellt werden und Beschwerden als psychosomatisch abgetan werden, sollten sich Ärzte eingestehen, wenn sie am Ende ihres Wissens angelangt sind und Patienten gegebenenfalls in spezialisierte Zentren überweisen. Es ist zudem wichtig, dass die korrekte Diagnose vor allem im Fall von ME/CFS schneller gestellt wird, da dadurch Zustandsverschlechterungen durch Überlastung vermieden werden können.

Weitere Infos:

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Infos zum Fall:

Perspektive:

Patientin oder Patient

Alter:

5-14 Jahre

Art der EInrichtung:

Ambulante Praxis, Arztpraxis, Psychotherapiepraxis, Krankenhaus, Normalstation, Notaufnahme

Geschlecht:

weiblich

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