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2024-1473

AV-Block 3. Grades – 20 Jahre nicht erkannt, danach etliche Behandlungsmissstände

Fallbeschreibung:

Danke, dass Sie Patienten hier die Möglichkeit bieten, von ihren Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen zu berichten. Mein Fall zieht sich über fast 50 Jahre und ich versuche mich kurz zu halten. Erste Episode: AV-Block 3. Grades 20 Jahre lang nicht erkannt Im Alter von 15 oder 16 Jahren kollabierte ich das erste mal und fiel in einem Restaurant beim Essen unter den Tisch. Man behielt mich 3 Tage lang im Krankenhaus und entliess mich mit der Diagnose Kreislaufschwäche im Rahmen des Wachstums. Eine Herzuntersuchung fand nicht statt. In den darauf folgenden 20 Jahren kollabierte ich mindestens fünfmal mit Erbrechen und wiederholter Bewusstlosigkeit, mehrfach in der Öffentlichkeit. Jedes mal wurde ich für einen Tag in einem anderen Krankenhaus beobachtet, bekam Pfefferminztee mit Zucker und wurde wieder entlassen. Kein Belastungs-EKG, keine Herzkatheteruntersuchung, trotzdem ich berichtete, dass mir das wiederholt passiert war. Ich kollabierte ich zuhause, nachdem ich getrunken hatte und – ausserhalb der Regel- an einem Joint gezogen hatte. Ich fiel mindestens 20-mal hintereinander in Ohnmacht und erbrach mich. Mit Mühe schaffte ich es, den Notruf zu wählen. Im Krankenhause gab es endlich einen Arzt/ eine Ärztin, der/ die misstrauisch wurde. Trotz des leichten Drogenkonsums schätzte er/sie die Lage richtig ein und ordnete verschiedene Untersuchungen an. Dabei kam es zu einem kurzen Herzstillstand. Trotzdem das passierte, wollte der Chefarzt/ Die Chefärztin mich nach einem Langzeit-EKG nach Hause schicken, weil ich „ja fit sei wie ein Turnschuh“. Ich sass mehrere Stunden lang auf meiner gepackten Tasche im Zimmer, während sich der Oberarzt/ die Oberärztin und der Chefarzt/ die Chefärztin stritten, was zu tun sei. Glücklicherweise setzte sich der Oberarzt/ die Oberärztin durch und schickte mich zu einer Herzkatheter-Untersuchung. Diagnose: AV-Block 3. Grades mit Sinusknoten-Bradykardie, sofortige Implantation eines Zweikammerschrittmachers. Zweite Episode: Grobe Behandlungsschnitzer nach Herzschrittmacher Implantation / AV Block 3. Grades Als ich nach meiner ersten Herschrittmacher Implantation aufwachte, schlug mein Herz so schnell, dass ich nicht sprechen konnte, sondern nur stotterte. Man hatte den Herzschrittmacher auf Werkseinstellungen stehen lassen. Mit diesem viel zu schnellen Herzschlag und in einem Zustand von Panik lag ich vom Morgen der OP bis abends im Bett, also ca. 9 oder 10 Stunden, bis sich jemand meldete um mich zum Einstellen abzuholen. Die Ärztin/ der Arzt, die/ der mich auch operiert hatte, begann, meinen Herzschrittmacher einzustellen. Meine Nerven waren schon angeschlagen, als das Herz plötzlich los raste, weil es per kabellosen Verbindung beschleunigte, schreckte ich mehrfach hintereinander zusammen. Anstatt ihre/ seine Handlungen zu kommentieren, damit ich wusste, was sie/er tat, stauchte sie/ er mich zusammen, ich solle mir mal einen Psychotherapeuten suchen, bei meinen Ängsten. Erste Reaktion des Kardiologen/ der Kardiologin, der/ die mich für die ICD-Kontrolle übernahm: „Wer hat sie denn so grob zusammen geflickt?“. Dritte Episode: Elektroschocks nach Herzschrittmacher Implantation / AV Block 3. Grades Nach der Herzschrittmacher-Operation litt ich fast 1,5 Jahre an Elektroschocks auf meinem Zwerchfell. Bei geschäftlichen Gesprächen stotterte ich wie bei einem Schluckauf. Ich ging mehrfach zu meinem MVZ, um das zu beanstanden. Mein Kardiologe/ Meine Kardiologin glaubte mir nicht und stellte in den Raum, ich sei ein „Sensibelchen“. Ich trat in den Deutschen Herz Verband ein und suchte dort Hilfe. Auch die beratenden Ärzte dort, die mich telefonisch berieten, glaubten mir nicht. Ihre Antwort:“Der Kollege/ Die Kollegin wisse schon, was er/ sie tue.“. Ich bekam Angst, dass es ein operativer Fehler bei der Verlegung der Kabel sein könnte. Auch hier war es reines Glück, dass bei einer der ICD Kontrollen im Moment der Untersuchung ein solcher Elektroschock ausgelöst wurde- und mein Kardiologe/ meine Kardiologin erkannte es und glaubte mir. Seitdem entschuldigte er/ sie sich mehrfach bei mir, was es nicht besser machte, nachdem ich fast 1,5 Jahre mit diesem Symptom hatte leben müssen. Durch eine feinere Einstellung und durch meine Yoga Praxis bekam ich es in den Griff. Vierte Episode: Anwesenheit von Biotronik Experten in Untersuchungen vor ICD Wechsel Etwa ein Jahr vor meinem ersten Schrittmacher-Wechsel tauchte ein/e Mitarbeiter*in in den ICD-Kontrollen auf. Er/ Sie sass sogar bei den Arztgesprächen mit im Raum. Ich war etwas irritiert und befremdet, zumal man damals ja auch noch mit freiem Oberkörper untersucht wurde, kam aber nicht auf die Idee zu fragen, wer das eigentlich ist. Erst beim finalen Gespräch vor der OP, als es um die Auswahl des Herzschrittmachers ging, fragte ich wer er/ sie ist und erfuhr, dass er ein Vertreter von Biotronik war. Zur Auswahl lagen drei Geräte vor mir: zwei ziemlich grosse Herzschrittmacher mit Fernwartung von Biotronik und ein kleines Gerät von Sanofi. Ich fragte meinen Arzt/ meine Ärztin, ob er/ sie mir ernsthaft so einen Klotz implantieren wolle (ich bin schmal gebaut und große Geräte spannen unter der Haut). Ich äußerte auch mein Entsetzen, einen kommerziellen Vertreter*in in meiner ärztlichen Untersuchung zu treffen, ohne dass er/ sie sich mir vorstellt oder dass ich nach meiner Einwilligung gefragt werde. Fünfte Episode: schmerzhafter zweiter Austausch des Schrittmachers Nachdem mein Kardiologe/ meine Kardiologin von heute auf morgen in die Rente verschwand (keine Abschiedsmail an seine PatientInnen), begegnete ich zwei Wochen vor meinem zweiten Austausch dem neuen Kardiologen/ die neue Kardiologin. Die OP war unglaublich schmerzvoll, bei vollem Bewusstsein. Ich bekam kein Beruhigungsmittel und erlebte alles mit, wie er/ sie mich aufschnitt, an mir herum zerrte um das alte Gerät heraus zu bekommen und eine Tasche in meiner Brust weitete, um das neue Gerät hinein zu pressen. Das tat weh, weil die örtliche Betäubung nicht so tief ging. Nach der OP gab es im Ruheraum nur einen Stuhl und ich wurde nach 5 Minuten aufgefordert, mich anzuziehen und im Wartebereich auf den Krankentransport zu warten. Dort sass ich 1,5 Stunden und konnte mich kaum aufrecht halten nach der schlimmen Erfahrung im OP. Sechste Episode: 20 Jahre keine medizinische Untersuchung bei AV-Block 3. Grades Nach dem schmerzhaften Austausch des zweiten Schrittmachers sagte mir der neue Kardiologe/ die neue Kardiologin des MVZs, der/ die mich auch operiert hatte, dass sich alles so anfühlen würde wie vorher. Denn er/ sie hätte das Nachfolgegerät implantiert und die Einstellungen 1:1 übernommen. Aber dem war nicht so. Nach der OP litt ich bis in den Sommer 2024 unter ziemlich unangenehmen Herzrythmusstörungen und suchte den Arzt/ die Ärztin mehrfach auf. Er/ Sie nahm unterschiedliche Justierungen an den Einstellungen vor, die aber nur wenig änderten. Ich bekam es mit der Angst zu tun, dass die schmerzhafte OP einen Schaden verursacht hat (z.b. verrutschte Kabel) oder die Störungen ausgelöst hat und begann im Internet zu recherchieren, ob sowas möglich ist. Dabei stieß ich auf eine Studie (siehe unten), die zum Ergebnis hatte, dass Dänische Wissenschaftler Ärzten empfehlen, PatientInnen mit AV Block 3. Grades in der eingehender zu betreuen und zu untersuchen, da eine erhöhte Mortalität besteht. Und fragte ihn/ sie, warum immer nur der Schrittmacher eingestellt wird und ich eigentlich in 20 Jahren keine einzige medizinische Untersuchung zu meiner Herzgesundheit hatte. Da fragte er/ sie mich, wer mich untersuche, worauf ich „na ich dachte, sie?“ entgegnete. Vor einigen Wochen hatte der Kardiologe/ die Kardiologin noch eine Idee, wegen der Herzrythmusstörungen. Er/ Sie sagte: „Wir könnten nochmal versuchen, die Diode in der zweiten Kammer zu aktivieren.“ Erst im Nachhinein begriff ich, dass anscheinend diese Diode die letzten 1,5 Jahre nicht aktiv war, sie wie die 18,5 Jahre davor. Ganz ehrlich, mein letzter Funke Vertrauen in das medizinische System und in den Arzt/ in die Ärztin ging hier verloren. Ich weiss nicht wirklich, was ich unternehmen soll, um eine Behandlung zu bekommen, die mich informiert, und die mir hilft, mit meinem Krankheitsbild vertrauensvoll zu leben. Dänische Studie: Dideriksen JR et al. Long-term outcomes in young patients with atrioventricular block of unknown aetiology, Eur Heart J 2021; ehab060, DOI: https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab060

Gut gelaufen:

Dem Oberarzt/ der Oberärztin, der sich gegen seinen Chefarzt/ seine Chafärztin dafür eingesetzt hat, eine Herzkatheteruntersuchung bei mir durchzuführen, bin ich bis an mein Lebensende dankbar. Hier zeigt sich, wie medizinische Aufmerksamkeit, eine gesunde Intuition und eine Prise Empathie ein gutes Gespann sind, um Patienten zu helfen. Natürlich bin ich auch glücklich über die Errungenschaften der Medzin und der Technologie, denen ich verdanke, dass ich am Leben bin. Dazu gehört auch das Internet, das mich informiert, wenn es meine Ärzte nicht tun. Gut läuft auch, dass meine Krankenkasse jetzt proaktiv Informationsangebote für Herzpatienten macht.

Schlecht gelaufen:

Ich hoffe, dies geht bereits aus meinem Bericht hervor: – Die Blindheit der Krankenhäuser, die mich nicht richtig untersucht haben. – Die Grobheit der Ärztin, die mich erstmals operierte und mir riet, zum Psychiater zu gehen – Das Gefühl der Unmündigkeit, dass meine Ärzte mir vermitteln: Fehlende Information zu meiner Diagnose, zu meinen Symptomen und vor allem zu meiner Prognose (O-Ton Kardiologe: Leben sie einfach so weiter…), so dass es mir nicht möglich ist, eine mündige Patientin zu sein – Dass mein Arzt/ meine Ärztin mir nicht geglaubt hat, als ich von den dauernden Elektroschocks berichtete

Verbesserungsvorschläge:

Ich war sehr jung, als ich mit Synkopen eingeliefert wurde und anscheinend hielt es keiner im KH für möglich, dass ich unter einem totalen Herzstillstand-Syndrom litt. Hier muss ein besseres Bewusstsein geschafft werden, dass auch junge Patienten ernste Krankheitsbilder haben können. Insgesamt reicht es nicht aus, einen Herzschrittmacher zu implementieren und technisch zu warten, ohne den ganzen Menschen und das eigentliche Krankheitsbild ins Auge zu fassen. In meinem ICD Zentrum werden tausende von Herzschrittmacher-PatientInnen routiniert kontrolliert und leider auch “abkassiert”. Dieses System hat zur Folge, dass eigentlich nur auf die Technik geschaut wird und nicht auf den Menschen. Wo finden Menschen mit komplexen Krankheitsbildern Information? Ärzte nehmen sich oft keine Zeit, Zusammenhänge ausreichend zu erklären und tun Fragen und Befürchtungen einfach ab. Wie kann es sein, dass mich eine Ärztin 10 Stunden lang mit einem BPM wie im Tresor Club im Krankenhaus Bett liegen lässt? Werden Ärzte eigentlich auch in Empathie ausgebildet, so das sie berücksichtigen, wie es dem Patienten nach einer ersten solchen OP vielleicht geht? Mein Eindruck ist, dass die hierarchischen Strukturen in den Krankenhäusern und eine dysfunctionale Unternehmenskultur erheblich zu einer menschlichen Kälte beitragen aber ich kann es natürlich nicht nachweisen.

Weitere Infos:

Da mein Fall sich über 50 Jahre hinzieht, kann ich unten nicht die richtige Angabe machen. Ich war 15 oder 16, als es los ging, als man den AV-Block erkannte, war ich Mitte 30 Jahre alt. Heute bin ich Mitte 50. Früher war ich privat versichert, heute freiwillig gesetzlich versichert.
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Infos zum Fall:

Perspektive:

Patientin oder Patient

Alter:

30-49 Jahre

Art der EInrichtung:

Ambulante Praxis, Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), Krankenhaus, Normalstation, Notaufnahme, sonstiger Bereich

Geschlecht:

weiblich

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