Fallbeschreibung:
Es ist Mitternacht. Ich werde in einen Kreißsaal geführt. Mein Mann sagt „Jetzt ist der unser Hochzeitstag. Um die Schmerzen besser aushalten zu können, bitte ich darum, in Badewanne zu können. Ich komme in die Wanne, die Schmerzen werden dieses Mal aber nicht wirklich signifikant besser, im Gegenteil.
Dieses Mal möchte ich nicht lange leiden, ich lasse mir direkt Meptid geben, auch das macht die Schmerzen nicht wirklich deutlich besser. Kurz darauf misst Hebamme 1 nochmal vaginal nach: Ich bin nun bei 3-4cm Muttermundsöffnung- man kann mir nun eine PDA geben. Die PDA macht, dass die Schmerzen weg sind. Hebamme 1 deckt mich zu und sagt uns, dass wir etwas schlafen sollen. Sie geht weg. Das versuche ich nun- aber nur circa 10min später platzt meine Fruchtblase. Wir rufen wieder Hebamme 1. Sie kommt und macht unter mir sauber, sie sagt, dass Fruchtwasser sei grün, das sei aber nicht schlimm.
Sie misst nach: 5-6cm Muttermundsöffnung. Sie sagt mir, dass das richtig super sei. Sie wiederholt immer wieder, wie toll ich das machen würde. Gefühlt mit dem Platzen der Fruchtblase bekomme ich das Bedürfnis, zu pressen. Ich soll allerdings noch anhalten. Zwischenzeitlich wird die PDA nochmal aufgespritzt, dies hilft allerdings nicht gegen den Drang, zu pressen. Hebamme 1 misst irgendwann nochmal nach, ich bin bei 9cm Muttermundsöffnung, da sei nur noch ein „kleiner Rand“, deswegen solle ich den Pressdrang noch anhalten. Das Anhalten ist schlimmer als die Wehen, lässt sich nicht veratmen und strengt unglaublich an. Es ist so, als müsste ich „groß“, und zwar ganz dringend, aber dürfte über Stunden nicht.
Um 6:15 Uhr kommt Hebamme 1 wieder rein und sagt, dass sie meine Geburt leider nicht zu Ende begleiten könne, da nun Schichtwechsel sei. Sie geht. Rein kommt eine Frau, die sich als Hebammenschülerin vorstellt. Kurz darauf kommt Hebamme 2 dazu. Sie scheint die Supervisorin zu sein, allerdings wird die Geburt recht offensichtlich von der Hebammenschülerin geleitet. Mir fällt auf, dass die Hebammenschülerin viel zu Hebamme 2 schaut, wenn sie etwas mit mir bespricht, als wolle sie sich absichern. Es ist eine Ausbildungssituation. Beide messen vaginal nach: Da ist immer noch ein kleiner Rand. Mir wird eine andere Position nahegelegt, eine Position, in der mein Mann mich unterstützen kann. Ich hocke jetzt auf den Knien auf dem Kreissaalbett und schaue meinen Mann dabei an. Ich bin unglaublich angestrengt, Hebamme 2 geht weg, nun sind wir mit der Hebammenschülerin alleine. Langsam kann ich nicht mehr anhalten. Ich fange an zu weinen, das Anhalten des Pressdrangs macht mich einfach fertig. Nun, da Hebamme 2 nicht da ist, ändert sich der Ton der Hebammenschülerin: Ich empfinde sie als total angespannt, ihre Art als ungeduldig, fordernd und insgesamt wenig empathisch. Sie fragt mich in einem fast vorwurfsvollen Ton „WARUM weinst du?“, sagt an „Statt zu weinen solltest du pressen“.
Erst jetzt verstehe überhaupt, dass ich pressen soll. Bislang habe ich angehalten. Ich frage sie außer Atem „Soll ich jetzt pressen?“ Sie sagt mir „Pressen ja, aber nicht powerpressen.“ Ich weiß gar nicht, was Powerpressen ist. Ich schaue ins Gesicht meines Mannes, sehe, dass er auch wütend ist wegen des Tons. Ich denke, er sagt auch nichts, weil wir von der Hebammenschülerin ja abhängig sind und uns nicht mit der streiten wollen. Ich fange an zu pressen und bekomme unerträgliche Schmerzen im Rücken. Ich bin davon überzeugt, dass etwas in meinem Rücken kaputt gegangen ist, ich sage der Hebammenschülerin immer wieder unter Tränen „Da stimmt was nicht!“. Sie hält mich zum Pressen an. Ich presse unter schlimmsten Schmerzen, ich weine, presse, weine, presse, sage ihr unter Tränen, dass die Schmerzen nicht normal sind, dass ich so Schmerzen im Rücken habe. Sie erwidert immer wieder, dass sie die Schmerzen kennt, sie hat ja auch mehrere Kinder zur Welt gebracht. Ich schaue immer wieder durch den Raum, suche Hebamme 2. Sie ist nicht da. Zwischenzeitlich ist sie wieder da und spritzt die PDA auf, das bringt aber nichts. Ich nehme unter Tränen ihre Hand und flehe sie an „Bitte geh‘ nicht mehr weg.“ Ich solle mich auf die Seite legen, das bringt aber auch nichts. Ich sage ihr, dass ich einen Kaiserschnitt möchte, flehe sie an. Sie sagt mir, dass das für sie ein gutes Zeichen ist, dass ich das möchte, dass das alle Frauen sagen am Ende einer Geburt. Dann ist sie wieder weg. Ich betone der Hebammenschülerin gegenüber immer wieder „Hier stimmt was nicht. Ich will einen Kaiserschnitt.“ Sie hält mich weiter hin. Ich höre irgendwann auf zu pressen und weine nur noch. Ich bin hier ausgeliefert. Ich gebe auf. Ich bin in einem Krankenhaus und habe Todesschmerzen, aber keiner hört mich. Hebamme 2 kommt irgendwann wieder. Ich flehe meinen Mann an, mir zu glauben, dass irgendetwas nicht stimmt. Er sagt „Ich glaube dir.“ Hebamme 2 läuft los. Sie holt die Assistenzärztin. Diese macht nun einen Ultraschall und stellt fest, dass der Kopf falsch liegt und das Bein irgendwie auch- durch die Lage des Beins bekomme ich die Schmerzen beim Pressen.
Man müsse das Kind nochmal zurückdrücken und dann richtig rücken und dann könnte ich noch spontan gebären. Ich kann nicht mehr. Ich hatte recht. Ich bin so demoralisiert wie noch nie in meinem Leben. Ich flehe die Assistenzärztin an, das Kind via Kaiserschnitt zu holen. Ich will nur noch raus aus diesem Kreissaal und weg von diesen Hebammen. Sie gibt ihr okay, betont aber, dass sie das nicht entscheiden könne- es müsse erstmal eine Oberärztin kommen. Es kommt Oberärztin 1. Auch sie macht die gleiche Untersuchung wie die Assistenzärztin (unter Wehe muss ich pressen, sie sucht irgendwas am Kopf des Kindes) und bestätigt ihren Eindruck. Sie betont „Sie können noch spontan entbinden.“ Die Assistenzärztin sagt ihr, dass ich das nicht mehr wolle. Ich bin ihr so dankbar.
Mittlerweile hängt mein Kopf über dem Kreißsaalbett, mein Mann hält ihn. Sinnloserweise meint die Oberärztin 1 „Setzen Sie sich mal richtig hin, so bekommen Sie ja Rückenschmerzen.“ Sie zieht meinen gebärenden Körper ohne Vorwarnung in einem Ruck auf das Kreissaalbett. Ich möchte mich wehren, hab aber keine Kraft mehr, was zu sagen. Es ist demütigend. Rückenschmerzen sind nun das geringste Übel seien, wo ich körperlich am absoluten Tiefpunkt angekommen bin und gleich das erste Mal in meinem Leben operiert werde.
Mein Mann macht Oberärztin 1 an „Das spielt ja nun wirklich keine Rolle mehr!“. Sie sagen mir, dass sie den Chefarzt holen, damit er freigeben könne, dass ich vor einen anderen Kaiserschnitt geschoben werde. Der Chefarzt kommt, sagt „Oh, Frau XY“, sagt was zu den anderen. Man sagt mir, dass ich jetzt vor dem anderen Kaiserschnitt dran sei. In der ganzen Zeit der Untersuchungen und Absprachen habe ich immer noch Wehen und Schmerzen.
Gut gelaufen:
Die Assistenzärztin hat mich ernstgenommen. Sie hat meine starke Ermüdung nach mehreren Tagen Einleitung anerkannt. Zum Pressen wäre ich in dem Zustand nicht mehr fähig gewesen, u.U. hätten dann andere Maßnahmen ergriffen werden müssen, die noch stärker traumatisierend gewesen wären-
Schlecht gelaufen:
– Ich wurde in der Austreibungsphase alleine gelassen mit einer Hebammenschülerin.
– Die Hebammenschülerin hat meine Schmerzen nicht ernstgenommen, sodass ich mich ausgeliefert gefühlt habe. Dieses Auslieferungsgefühl bedingt oft eine Traumatisierung.
– Meine Schmerzen wurden nicht ernstgenommen, obwohl sie durch eine Fehllage des Kopfes und eines Verhacktseins des Fußes bedingt waren.
– Die Hebammenschülerin war überfordert und nicht geschult in einfühlsamer Kommunikation.
Verbesserungsvorschläge:
– Bessere Schulung von Geburtshelfern hinsichtlich der Kommunikation und Verhalten unter Geburt.
– Mehr Hebammen, sodass man nicht aus Hebammenmangel alleinegelassen wird.
Weitere Infos:
Keine Angaben
Infos zum Fall:
Perspektive:
Patientin oder Patient
Alter:
30-49 Jahre
Art der EInrichtung:
Krankenhaus, Kreißsaal, Operationssaal, Geburt, Krankenhaus
Geschlecht:
weiblich