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2025-054

Medical Gaslighting und unangemessene Behandlung nach Absetzen der Pille

Fallbeschreibung:

Ich wandte mich an meinen behandelnden Endokrinologen, weil ich nach dem Absetzen der Pille (Lamuna 20) starke Symptome entwickelt hatte. Innerhalb weniger Wochen traten Bluthochdruck, Hitzewallungen, Schlafstörungen, emotionale Reizbarkeit und Kribbeln in den Extremitäten auf. Ich erklärte ihm direkt im ersten Satz meiner Nachricht, dass meine Beschwerden erst nach dem Absetzen der Pille auftraten und dass ich eine medizinische Einschätzung zu möglichen Behandlungsoptionen wollte, um die Symptome abzumildern. 1. Ignoranz und Fehlinterpretation meines Anliegens Seine erste Antwort war ein völliger Fehlschlag. Anstatt sich mit dem hormonellen Zusammenhang auseinanderzusetzen, schrieb er, ich könne die Pille ja auch einfach wieder absetzen, wenn ich mich damit nicht wohlfühlen würde. Das war nicht nur ignorant, sondern auch respektlos. Ich hatte klipp und klar gesagt, dass ich sie bereits abgesetzt hatte und genau deshalb diese Beschwerden hatte. Doch anstatt dies zur Kenntnis zu nehmen, formulierte er es so, als wäre mein Problem eine Frage des persönlichen Wohlbefindens – als hätte ich einfach nur „keine Lust mehr auf die Pille“ und könnte sie nach Belieben wieder absetzen, wenn es mir nicht passt. Diese Aussage zeigt, dass er entweder meinen Text nicht richtig gelesen hat oder bewusst eine falsche Interpretation vornahm, um mein Anliegen nicht ernst zu nehmen. In beiden Fällen ist es ein unglaubliches Maß an Nachlässigkeit. 2. Die vorschnelle Abschiebung in die Psychiatrie Statt eine ernsthafte hormonelle Analyse oder Behandlung vorzuschlagen, erklärte er mir, dass meine Beschwerden nicht endokrinologisch erklärbar seien. Stattdessen schlug er mir vor, erneut Amisulprid einzunehmen oder mich in einer Psychiatrie vorzustellen. Das bedeutet: Ohne eine einzige hormonelle Untersuchung oder ernsthafte Auseinandersetzung mit meinen Symptomen schob er mein Problem direkt auf meine Psyche. Er tat so, als sei die einzig denkbare Erklärung, dass meine Beschwerden auf eine psychiatrische Erkrankung zurückzuführen sind – ohne jegliche Beweise oder Begründung. Diese Art der vorgezogenen Psychologisierung ist klassisches Medical Gaslighting: • Meine klar geschilderten körperlichen Symptome wurden nicht ernst genommen. • Die hormonellen Zusammenhänge wurden ignoriert. • Ich wurde stattdessen als „psychisch instabile Patientin“ dargestellt, die sich vielleicht lieber in eine Klinik begeben sollte. 3. Seine widersprüchlichen und wissenschaftlich falschen Ratschläge Nachdem ich klargestellt hatte, dass meine Symptome durch das Absetzen der Pille kamen, schlug er mir eine Methode vor, die medizinisch völlig unhaltbar ist: Ich sollte die Pille erst jeden zweiten Tag nehmen, dann jeden dritten, dann jeden vierten, bis ich sie irgendwann ganz weglassen könne. Dieser Vorschlag ist nicht nur unsinnig, sondern falsch und potenziell schädlich: • Die Pille ist für eine tägliche Einnahme konzipiert, nicht für ein stufenweises „Austaper-Verfahren“. • Ein solches Einnahmeschema führt zu starken hormonellen Schwankungen und kann Beschwerden verschlimmern statt lindern. • Es gibt keine medizinische Evidenz, die eine solche Methode unterstützt. Dieser Ratschlag zeigt deutlich, dass er mich nicht nur nicht ernst nahm, sondern offenbar keine Ahnung hatte, wie man eine Pille korrekt absetzt oder welche medizinischen Alternativen es geben könnte. 4. Kein Eingeständnis, keine Reflexion, keine Hilfe Nicht ein einziges Mal räumte er ein, dass er meinen Fall möglicherweise falsch verstanden hatte. Nicht ein einziges Mal entschuldigte er sich dafür, dass er meine ursprüngliche Aussage ignoriert hatte. Nicht ein einziges Mal bot er eine ernsthafte medizinische Lösung an. Stattdessen hielt er an seinen Fehldiagnosen und nutzlosen Vorschlägen fest, als ob es mir helfen würde, wenn er mich einfach in eine Psychiatrie schickt oder mich mit absurden Ratschlägen abspeist. 5. Am Ende stand ich alleine da – ohne Hilfe Letztendlich musste ich die Pille wieder nehmen, weil ich keine andere Wahl hatte. Meine Symptome waren zu stark, und keiner half mir. Kein Arzt bot mir eine Alternative an. Niemand untersuchte ernsthaft meine Hormonwerte oder bot mir eine gezielte Behandlung an. Ich stand da mit all meinen Beschwerden, meinem verzweifelten Wunsch, von dieser Pille loszukommen – und niemand nahm mich ernst. Diese Erfahrung zeigt, wie Frauen in der Medizin immer wieder mit Ignoranz, Fehldiagnosen und medizinisch nicht haltbaren Ratschlägen konfrontiert werden. Und sie zeigt, dass es oft keinen Weg gibt, ernst genommen zu werden – selbst wenn die Symptome offensichtlich hormonell bedingt sind. Ich erzähle meine Geschichte, weil ich nicht die Einzige bin, die so etwas erlebt. Und weil sich dringend etwas ändern muss.

Gut gelaufen:

Keine Angaben

Schlecht gelaufen:

Verbesserungsvorschläge:

Keine Angaben

Weitere Infos:

Hier der genaue Gesprächsverlauf mit Daten: Chatverlauf zwischen Frau … und Doktor … Frau …: Guten Tag, ich habe die Pille, Lamuna 20, abgesetzt. Leider habe ich immer stärker werdende Symptome, darunter: • erhöhter Blutdruck (165/108), • erneut Hitzewallungen und Nachtschweiß, • Schlafstörungen und starke emotionale „Dünnhäutigkeit“. Gibt es eventuell Medikamente, wie z. B. niedrig dosierte Testosteron-Pflaster oder Ähnliches, die geeignet sind, die Symptome zu lindern? Vielen Dank. Frau …: Ergänzung: Heute Morgen habe ich eine leichte Blutung festgestellt. Ob es sich um die reguläre Blutung oder eine Zwischenblutung handelt, weiß ich nicht. Ich nehme an, das ist ein positives Zeichen. Praxisteam: Guten Morgen, wir legen Ihre Info dem Doktor vor. Mit freundlichen Grüßen, Ihr Praxisteam. Frau …: Vielen Dank! Frau …: Entschuldigen Sie, dass ich nochmals schreibe. Mir geht es zunehmend wirklich schlecht. In den letzten Tagen habe ich das Gefühl, innerlich zu platzen. Es fühlt sich an, als würde ich permanent kurz vor einer Panikattacke oder einem Nervenzusammenbruch stehen. Zudem hatte ich zuerst im Bauch ein Kribbeln, mittlerweile auch in den Armen. Die Blutung war im Übrigen nur an dem Morgen kurzweilig. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir helfen könnten. Vielen Dank. Praxisteam: Guten Tag, die Info gebe ich gerne weiter. Mit freundlichen Grüßen. Doktor …: Sehr geehrte Frau …, Ihr letztes Hormonlabor zeigte sich soweit unauffällig bis auf einen B12-Mangel. Testosteron spielt bei der Frau keine Rolle und könnte Ihre Beschwerden somit kaum beeinflussen. Wenn Sie sich unter Lamuna verschlechtert fühlen, können Sie diese wieder absetzen. Nach dem Absetzen des Amisulprids konnten wir sehen, dass das erhöhte Prolaktin lediglich eine harmlose Nebenwirkung des Medikaments war. Ihre aktuelle Symptomatik legt nahe, dass man wieder mit Amisulprid beginnen sollte, um Sie auch psychisch wieder zu stabilisieren. Ich empfehle eine umgehende Vorstellung bei Ihrem Psychiater oder eben eine notfallmäßige Vorstellung in der zuständigen Psychiatrie. Die von Ihnen beschriebenen Symptome kann ich mir endokrinologischerseits jedenfalls nicht erklären. Mit freundlichen Grüßen, Doktor … Frau …: Sehr geehrter Herr Doktor …, ich habe Lamuna 20 zwischen dem xxx abgesetzt – nicht andersherum. Meine Symptome lassen deutlich auf etwas dem „Post-Pill-Syndrom“ zumindest sehr Ähnlichem schließen. Ich habe über 3,5 Jahre lang aufgrund der Einnahme von Psychopharmaka stark belastende Symptome entwickelt – Hyperprolaktinämie bedingt. Amisulprid habe ich bereits im Herbst abgesetzt. Seitdem ich Amisulprid und Escitalopram abgesetzt habe, geht es mir viel besser. Der Zusammenhang zwischen dem Absetzen der Pille und den wieder auftretenden, stärker werdenden Symptomen ist deutlich. Ich möchte anmerken, dass es sehr unprofessionell ist, eine psychisch vorherkrankte Patientin möglichst in eine Psychiatrie abzuschieben – so lasse ich mich nicht mehr behandeln. Im Übrigen leide ich nun die dritte Nacht in Folge unter Schlaflosigkeit. Diese Nacht habe ich zumindest immer wieder einige Minuten geschlafen. Ein Mangel an Progesteron wäre eine Erklärung dafür. Meine emotionale „Dünnhäutigkeit“, die ich auf mangelndes Testosteron zurückgeführt habe, ist wiederum zurückgegangen. Gegen meinen Bluthochdruck nehme ich Cardesartan 16 mg und Betablocker ein. Doktor …: Sehr geehrte Frau …, Sie haben mir Symptome beschrieben, die sich endokrinologisch so nicht erklären lassen. Wenn Sie zuletzt ein Psychopharmakon abgesetzt und danach solche Symptome entwickelt haben, ist der offensichtlichste Ansatzpunkt hier von Seiten des Psychiaters eine Alternative zu entwickeln, denn Sie haben die Medikamente ja nicht ohne Indikation bekommen. Wenn Ihr behandelnder Psychiater nicht umgehend verfügbar ist (ich habe Ihnen an einem Sonntag geschrieben), dann bleibt nur der Gang in die stets offene Notambulanz einer Psychiatrie als Angebot. Wenn Sie die Symptome als nicht so dringend erachten, dass Sie sich dort vorstellen müssen, dann ist das Ihre Entscheidung. Ich muss Ihnen nur die Handlungsalternativen zeigen. Auch wenn Sie Hormone als Erklärung heranziehen, ist es nicht meine Aufgabe, Ihnen in dieser Erklärung zu folgen und Ihnen diverse Hormonpräparate im Off-Label-Use anzubieten – die ja auch Nebenwirkungen verursachen. Wie bereits erwähnt, halte ich sehr wenig davon, Testosteron bei Frauen einzusetzen (womit Sie nämlich wiederum die Östrogen- und Progesteronsynthese unterdrücken). Progesteron wird manchmal zur Therapie bei Schlafstörungen in den Wechseljahren eingesetzt, meiner Erfahrung nach aber mit geringem Erfolg. Ich bin generell nicht von der Sorte Endokrinologe, die ohne Rücksicht auf Nebenwirkungen auf jedes Symptom mit Hormonpräparaten losgehen. Mit freundlichen Grüßen, Doktor … Frau …: Sehr geehrter Herr Doktor …, ich habe die Pille, Lamuna 20, wie geschrieben abgesetzt. Innerhalb von wenigen Wochen entwickelten sich diverse Symptome, die sich teilweise steigerten. Zwar habe ich die Lamuna 20 nur wenige Monate genommen, doch war bereits 3 Jahre lang durch meinen hohen Prolaktinwert ebenfalls der Eisprung unterdrückt. Es existiert doch das sog. „Post-Pill-Syndrom“. Meine Symptome waren sicherlich recht stark, weshalb ich mich schließlich an Sie gewandt habe. Ich habe lediglich niedrig dosierte Testosteron-Pflaster oder Ähnliches angefragt, sollten diese oder eben auch andere Mittel geeignet sein, die Symptome etwas abzumildern. Darauf bestanden habe ich zu keinem Zeitpunkt. Ich habe die Pille wegen der starken Symptome und in Ermangelung von Alternativen wieder seit letzter Woche begonnen einzunehmen. Alle Symptome sind wieder abgeklungen. Sollte es nicht möglich sein, die bei mir leider extrem auftretenden Symptome beim Absetzen der Pille irgendwie abzumildern, kann ich es leider nicht tun. Mit freundlichen Grüßen, Frau … Doktor …: Sehr geehrte Frau …, wenn sich die Symptome durch Wiedereinnahme der Pille gebessert haben, dann haben wir ja einen Lösungsansatz. Wenn Sie die Pille wirklich unbedingt loswerden wollen, kann man ja zur Not auch austapern, d. h. die Pille erst jeden 2. Tag nehmen, dann nach einiger Zeit jeden 3. Tag, dann jeden 4. und irgendwann ganz absetzen, damit der Hormonabfall nicht so stark ist. Im Wesentlichen spricht aber auch nicht viel gegen eine weitere Einnahme der Pille. Mit freundlichen Grüßen, Doktor … Frau …: Sehr geehrter Herr Doktor …, ich hoffe, dass Ihre Empfehlung medizinisch fundiert ist und werde ihr erstmal folgen. Ich möchte Sie auf das Phänomen des „Medical Gaslighting“ aufmerksam machen, welches etliche weibliche Patientinnen, insbesondere durch männliche Ärzte, erleben.
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Infos zum Fall:

Perspektive:

Patientin oder Patient

Alter:

30-49 Jahre

Art der EInrichtung:

Ambulante Praxis, Arztpraxis

Geschlecht:

weiblich

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