Fallbeschreibung:
Meine Freundin hat eine Dissoziative Identitätsstörung, da sie bereits ihr ganzes Leben lang extreme Gewalt, unter anderem durch ihre Familie, erfahren hat.
Die Diagnose wurde von mehreren, voneinander unabhängigen Fachleuten gestellt.
Aktuell wird sie in der Psychiatrie des sektorzugehörigen Krankenhauses behandelt, da sie in Folge der vielen, extrem belasteten Symptomatiken eine Benzodiazepin-Abhängigkeit entwickelt hat.
Auf der Station, wo sie behandelt wird, wird ihr immer wieder von den Pflegemitarbeitenden Simulation der Symptome (z.B. dissoziative Krampfanfälle, Persönlichkeitswechsel) vorgeworfen. Auch die zuständige Oberärztin weigert sich, die Diagnose anzuerkennen. Stattdessen wurde meiner Freundin von Beginn an, ohne jegliche Diagnostik, eine Borderline Persönlichkeitsstörung zugeschrieben. Der zuständige Oberarzt sagte zu meiner Freundin in der Visite, sie solle nicht von Persönlichkeits-Anteilen sprechen, da es die Dissoziative Identitätsstörung nicht gebe.
Gut gelaufen:
Eine Psychotherapeutin in dieser Psychiatrie, bei der meine Freundin ein paar wenige Gespräche wahrnehmen konnte, schien meiner Freundin zunächst zu glauben. Sie war geschockt, als sie von den vielen Bagatellisierungen und Simulations-Vorwürfen seitens ihrer Kolleg:innen hörte. Sie versprach, sich an ihre:n Vorgesetze:n zu wenden.
Außerdem wandte sich meine Freundin an einen Arzt, welcher an einem Wochenende Bereitschaftsdienst in der Klinik hatte. Auch er sagte zu, dies nicht unkommentiert zu lassen.
Leider hatten diese Gespräche keine Wirkung- meiner Freundin wird weiterhin Simulation der Symptome vorgeworfen.
Schlecht gelaufen:
Neben den Vorwürfen der Simulation und der ständigen Infragestellung ihrer extrem traumatischen Vergangenheit, wurde meine Freundin von zwei Pflegerinnen zum Essen gezwungen. Diese Situation ereignete sich bei einem Abendessen auf der Station und kann von anderen Patient:innen bezeugt werden. Die Pflegerinnen setzten meine Freundin extrem unter Druck, jetzt das vorgegebene Essen zu essen, was sie aus berechtigten Gründen kaum schaffte. Somit hatte sie wieder einen Krampfanfall und nachvollziehbar noch mehr Angst vor der Pflege.
Ein anderer Pfleger erpresste meine Freundin in einer anderen Situation. Er sagte, dass er nicht an die Existenz der Dissoziativen Identitätsstörung glaube und sie nun zwei Optionen habe: Entweder sie gebe zu, alles zu simulieren und würde daraufhin alles bekommen, was sie wolle. Oder aber sie bleibe dabei, an einer DIS zu leiden, was eine Fixierung auf der geschlossenen Station zur Folge hätte.
An einem anderen Tag dissoziierte meine Freundin und eine Kind-Persönlichkeit fragte die Pflege nach Hilfe und Orientierung, da sie anscheinend nicht wusste, wo sie sich befindet. Die Pflegerin schickte sie daraufhin nach draußen, aufs Klinikgelände. Das ist aus meine Sicht nicht nur unmenschlich, sondern auch gefährdend.
Verbesserungsvorschläge:
Regelmäßige, verpflichtende Fortbildungen für alle Behander:innen der Psychiatrie zu Traumafolgestörungen, wie die Dissoziative Identitätsstörung. Im Hinblick auf die aktuelle Forschungslage ist es aus meiner Sicht ein Skandal, dass in einem Krankenhaus, welches Maximalversorger in einer Stadt mit fast 300 000 Einwohner:innen ist, die Fachleute nicht auf dem aktuellsten Stand der Wissenschaft zu sein scheinen.
Weitere Infos:
Für alle Betroffenen, welche aktuell oder in Zukunft noch in dieser Psychiatrie aufgrund einer Dissoziativen Identitätsstörung behandelt werden, sehe ich keine Chance auf Hilfe, wenn keine Änderungen stattfinden. Stattdessen wird den Betroffenen wohl weiterhin das verweigert, was ihnen bereits ihr ganzes Leben verweigert wird: Hilfe, Unterstützung, Sicherheit, Halt, Menschlichkeit und vor allem Glauben, an das, was Ihnen widerfahren ist.
Ich bin selbst examinierte Pflegefachkraft und arbeite auch in einer anderen Psychiatrie.
Infos zum Fall:
Perspektive:
Angehörige oder Angehöriger einer Patientin oder eines Patienten
Alter:
15-29 Jahre
Art der EInrichtung:
Normalstation, Krankenhaus, sonstiger Bereich
Geschlecht:
weiblich