Fallbeschreibung:
Im Vorraum des OP wurde ich für eine Operation an der Wirbelsäule vorbereitet, die für drei Stunden angesetzt war. Als ich im Krankenzimmer erwachte, teilten mir die Bettnachbarn mit, dass ich wohl neun Stunden im OP war. Fakt ist, die OP war durchgeführt worden (Spondylodese L4-S1 in TLIF).
Am nächsten Morgen hatte ich ein merkwürdiges Gefühl im Mund. Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, das mein Zahnfleisch am Unterkiefer links komplett dunkelblau bzw. schwarz war. Im weiteren Verlauf des Tages stellte ich im Bereich meiner linken Leiste ein Taubheitsgefühl fest. Sowohl das Wasserlassen als auch das Abführen fühlte sich ganz anders an. Ich konnte keinen Druck aufbauen. Später stellte sich noch heraus, das der linke und untere Schwellkörper in meinem Penis nicht mit Blut füllten, der rechte Schwellkörper aber wohl.
Das Zahnfleisch hatte sich inzwischen bei den täglichen Zahnreinigungen gelöst, so dass einige Zahnhälse jetzt freiliegen und zwei Schneidezähne sowie der Eck- und der erste Backenzahn (Prämolar?) heftig wackeln.
Fazit nach einem Jahr: eine teilweise Inkontinenz (Stuhl und Urin), eine Erektionsstörung, die einen gewohnten Geschlechtsverkehr unmöglich macht, lose Zähne, die ein Abbeißen fester Speisen erschweren bis unmöglich machen.
In der Klinik berichtete ich bei der ersten Visite vom Zahnfleisch. Ein Stationsarzt (Chirurg) / Eine Stationsärztin (Chirurgin) guckte in meinen Mund und sagte „…das gibt sich“. Einen Tag später berichtete ich vom Taubheitsgefühl im Genitalbereich und am Po, der Kommentar war der selbe: das sei vorübergehend und würde sich bald wieder normalisieren. Auf meine Frage, warum die OP solange gedauert habe, antwortete der Oberarzt / die Oberärztin: „Sie sind etwas korpulenter, da hat es länger gedauert bis wir uns zu den Wirbeln vorgearbeitet haben“. Eine Antwort, die ich als ausweichend und unverschämt empfunden habe.
Alle Probleme, die ich in der ersten Woche post op festgestellt und angesprochen hatte, traten aber in den Hintergrund, weil ich nach einer Woche wegen eines Blutgerinnsels erneut operiert werden. Diese Op war für eine Stunde angesetzt, dauerte aber drei Stunden. Auch hier erhielt ich trotz mehrfacher Nachfrage nur vage Auskünfte, keine Hinweise auf Komplikationen.
Bei der Entlassung sprach ich alle Probleme erneut an. Bei einem Blick in meinem Mund stellte man fest, dass das Zahnfleisch nicht mehr schwarz war (…klar, es war nicht mehr da). Ansonsten tastete ein Stationsarzt / eine Stationsärztin auf Anweisung des Oberarztes / der Oberärztin offenbar meinen Schließmuskel vom Enddarm aus ab. Als Ergebnis sagte er / sie nur: “ok, ich notiere das“.
Wie sich später herausstellte, waren alle von mir genannten Probleme – meines Wissens nach – nicht dokumentiert worden.
In der folgenden Zeit habe ich viele Fachärzte besucht (Urologe, Neurologin, Chirurg, Angiologe …). Nach drei weiteren bildgebenden Verfahren (Röntgen, CT und MRT), vermutet der / die zuletzt konsultierte Chirurg / Chirurgin, dass ich aller Wahrscheinlichkeit nach bei der ersten OP falsch gelagert war. Das würde die Symptome an Zahnfleisch und im Beckebereich erklären. Ursache sei dann vermutlich eine mangelhafte Kontrolle der Lagerung unmittelbar vor der OP.
Fazit: nach über 23 Monaten ist alles unverändert. Die Wirbelsäule ist stabilisiert, die vorher häufig vorkommenden Rückenbeschwerden haben deutlich nachgelassen: erfolgreiche Spondylodese L4-S1 in TLIF war wohl erfolgreich. Der Preis der losen Zähne, nicht mehr kontrolliert Wasser lassen und abführen zu können, sowie vor allem des fast unmöglichen Geschlechtsverkehrs ist mir dafür absolut zu hoch. Eine Lösung meiner Probleme hat mir bisher niemand in Aussicht stellen können.
Inzwischen habe ich ein Gutachten bei der „Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer“ in Auftrag gegeben. Das wird meine Probleme zunächst nicht lösen, aber vielleicht einige Antworten auf von den Klinikärzten nicht beantwortete Fragen geben.
Gut gelaufen:
Das Problem mit dem Rücken ist erst einmal behoben. Die Pflege auf der Station war wirklich sehr sehr gut.
Ich kann nur jedem raten, vor einer OP in Bauchlage zu versuchen, auf die Personen, die auf die OP vorbereiten, einzuwirken, damit die richtige Lagerung möglichst sichergestellt ist. Ausserdem empfehle ich – trotz allem postoperativen Stress – darauf zu achten, das wirklich alle Informationen dokumentiert werden.
Schlecht gelaufen:
Bei allem Positiven ist wahrscheinlich die Lagerung meines Körpers mangelhaft durchgeführt worden. Weil ein OP-Assistent / eine OP-Aissistentin einen schlechten Tag hatte oder ein Chirurg / eine Chirurgin die Lagerung mit dem vorgeschriebenen Kontrollgriff nicht richtig oder gar nicht geprüft hat, hab ich nun unheimlich viel Stress.
Verbesserungsvorschläge:
Patienten müsste grundsätzlich die Dokumentation zur Kenntnis gebracht werden. Wir kenn alle die „Schmiererei“ der Ärzte*innen auf den Aufklärungsbögen. Das muss aufhören. Alle Notizen müssten nach der Aufklärung leserlich ausgedruckt und dem Patienten mitgegeben werden. Gleiches gilt für die Dokumentation der Visiten.
Weitere Infos:
Ich empfinde es als demütigend, dass ich immer wieder Urologen oder Neurologen aufsuchen muss und förmlich betteln muss, um ein Medikament zu bekommen, das eine halbwegs zufriedenstellende Erektion ermöglicht.
Infos zum Fall:
Perspektive:
Patientin oder Patient
Alter:
50-69 Jahre
Art der EInrichtung:
Operationssaal, Krankenhaus
Geschlecht:
männlich